Elternzeit – Erfahrungen, Learnings, Anekdoten
Beruf und Familie miteinander in Einklang zu bringen ist – für nahezu alle Eltern – eine sehr große Herausforderung. In diesem Zuge habe ich nach der Geburt unseres zweiten Kindes zum zweiten Mal gemeinsam mit meiner Frau Veronika Elternzeit genommen. Hier möchte ich Erfahrungen, Learnings und kleine Anekdoten teilen sowie alle Beteiligten zu mehr Mut zur Elternzeit ermuntern. 🙂
Kinder sind (zugegeben, in den allermeisten Fällen …) etwas ganz Wunderbares! Daher ist es notwendig und gegeben, Kindern sehr viel Zeit zu widmen, damit sie sich von Beginn an gut in dieser Welt einfinden können und sich aufgehoben fühlen. Natürlich müssen sich auch alle Familienmitglieder, gerade ältere Geschwister, an die neue Rolle gewöhnen. Elternzeit ist da eine ganz wunderbare Möglichkeit, um dem Kind und natürlich der Mutter (und ja, auch sich selbst als Vater!) diesen gemeinsamen Start so angenehm wie möglich zu gestalten.
Der Vater als Mädchen für alles – außer Stillen 😉
Kündigt sich ein neues Familienmitglied an, ändern sich viele Tatsachen, Umstände, Gefühle und Bindungen. Dieser Wandel ist beim ersten Kind besonders tiefgreifend, bei weiteren Kindern ist man i.d.R. erfahrener – wenngleich die individuelle Situation sich doch erheblich von Kind zu Kind unterscheiden kann.
Dennoch: Eine Geburt ist für alle Beteiligten ein unglaublicher Kraftakt, v.a. natürlich für Frau und Baby. Aber auch etwaige Geschwister müssen ihre neue Position innerhalb der Familie finden und sind dabei auf Unterstützung durch die Eltern angewiesen. Elternzeit ist damit für alle Familienmitglieder relevant, nicht nur für das Neugeborene. Und natürlich besonders auch für die Frau im Wochenbett, die auf den Vater oder eine andere nahestehende Person als Allround-Versorger mehr oder weniger angewiesen ist.
Der zumeist von notorischem Schlafmangel geprägte Milch-, Windel- und Kuschelalltag wartet natürlich auch mit vielen organisatorischen Aufgaben auf: Sei es nun der Haushalt, die Bekanntgabe der Geburt bei Freunden und Familie (sowie natürlich die notwendige Kommunikation im Nachhinein) oder auch bürokratische Akte (von der Beantragung aller Geburtsunterlagen sowie von Eltern- und Kindergeld über die Anmeldung der Elternzeit beim Arbeitgeber und des Kindes bei relevanten Versicherungen bis hin zur Änderung von Müllgebühren usw.): Es entsteht großer Aufwand, der vom Vater getragen werden will. Mutter und Kind haben nachvollziehbarerweise schlicht Besseres zu tun und meist auch nicht die Energie, sich um solche Dinge zu kümmern – gerade dann nicht, wenn es Startschwierigkeiten gibt, die immer auftreten können (und es zumeist auch tun).
Um mich nicht misszuverstehen: Es sind alles (!) wunderbare Aufgaben, da sie den Eltern mit jedem erledigten To-Do zeigen, dass das kleine Wesen immer mehr in diese Welt integriert wird. Aber es bedeutet natürlich auch erheblichen Aufwand. Und das geht nur mit dafür frei gehaltener Zeit. Elternzeit also.
Vatersein bedeutet gerade am Anfang, Mutter und Kind in allen Lagen zu unterstützen und sich selbst zurückzustellen. Die Belohnungen folgen später.
Schönste und schwierigste Situationen
Zur Elternzeit sind Eltern in der Regel gemeinsam mit dem Säugling zu Hause. Durch die Corona-Pandemie waren wir es bereits “gewöhnt”, gleichzeitig auf ein Kind aufzupassen und zu arbeiten. Unseren älteren Sohn ließen wir nach der Geburt zunächst zu Hause. Was sich einerseits ganz wunderbar anhört, ist andererseits auch eine größere Belastung, denn er forderte neben dem Säugling natürlich auch sehr viel Aufmerksamkeit – war er es doch durch die Situation vorher so gewöhnt. Wir wollten jedoch vermeiden, dass er sich nach der Pandemie und nun nach der Geburt durch den sofortigen Besuch des Kindergartens abgeschoben fühlt. Daneben waren es wohl v.a. die rudimentär vorhandenen Schlaf- und Erholungsphasen, die sich nach Wochen und Monaten doch als äußerst belastend entpuppten. Aber da geht es uns wie allen frisch gebackenen Eltern. 🙂
Und was waren die schönsten Erfahrungen für mich während der Elternzeit? Neben dem Wunder der Geburt und dem anschließenden Kennenlernen im Allgemeinen waren es v.a. die Zeiten ohne Termine (ja, auch während der Elternzeit gibt es Termine – etwa für U-Untersuchungen und andere Arztbesuche, behördliche Fristen, Besuche von Freunden und Familie etc.). Das ermöglichte mir, mich ganz besonders auf jedes Familienmitglied zu konzentrieren: Sei es ausgiebiges Spielen mit dem Großen, Spazieren gehen mit dem Kleinen (dabei entstand obiges Bild) oder längere Gespräche und Reflektionen mit Veronika.
Große Freude und ausgeprägte Anstrengungen liegen in der Elternzeit besonders dicht beieinander.
Beginn der Elternzeit: Die Kunst der Gerechtigkeit
Eltern müssen einerseits Pflichtaufgaben, andererseits aber auch den emotionalen Bedürfnissen ihrer Kinder und von sich selbst gerecht werden. Dieses interne Gleichgewicht zu erlernen, dauert mitunter einige Wochen bis Monate, die nicht durch externe berufliche Pflichten gestört werden sollten. Nur so kann sich ein stabiles familiäres Gefüge finden.
Steht nicht genügend Zeit zur Verfügung, müssten Großeltern oder sonstige Familienangehörige entsprechende Aufgaben übernehmen (bei uns nicht möglich) oder die Herausforderungen müssten in ihrer Bewältigung auf ein minimalistisches Maß reduziert werden – zumeist mit der Folge, dass die zur Verfügung stehende Zeit nur für das Abarbeiten von Pflichtaufgaben verwendet wird, ohne mit Liebe agieren zu können. Hier gilt es, gekonnt die Waage zu halten. Werden die Grundstrukturen in der Familie nicht etabliert, werden sie es vermutlich auch mittel- bis langfristig nicht. Die Folgen können erheblich sein, wie unten noch einmal beschrieben wird.
Die Kunst der Gerechtigkeit besteht in der Kunst, sich die Sensibilität für die Gefühle und Bedürfnisse jedes einzelnen Familienmitglieds zu bewahren.
Während der Elternzeit: Die Kunst der Entspannung
Während der Elternzeit bedeutete Entspannung für mich: Sitzen ohne Aufgabe, so komisch es klingt. Das kam sehr selten und dann nur für Minuten vor. Aber immerhin. Meiner Erfahrung nach sollte man sich aller unannehmlichen Beschäftigungen entledigen, die einem vor der Geburt durchaus einiges an Zeit geraubt haben – die jetzt ohnehin nicht mehr zur Verfügung steht. Wesentlich waren bei mir v.a. drei relativ einfach umzusetzende Dinge, dank derer ich nun etwas mehr Zeit habe:
- News-Diät: Den Konsum von Nachrichten, die ohnehin meist negativ und damit belastend sind, auf ein Minimum reduzieren. Alles wirklich Relevante erfahre ich ohnehin durch zwischenmenschliche Kontakte und kann darüber dann direkt noch diskutieren.
- Social Media-Diät: Soziale Netzwerke nutze ich seit der Elternzeit möglichst nur noch als Produzent von Inhalten, nicht mehr als Konsument. Sehr zeitsparend und herrlich erholsam.
- Smartphone-Diät: Zweimal im Tag Nachrichten prüfen und beantworten. Von Anrufen bei dringend zu erledigenden Dingen nicht ablenken lassen – zurückrufen ist schließlich immer eine Option.
Schauen wir, wie lange ich diese Diäten auch nach der Elternzeit durchhalte. 😉 Da der Fokus auf wirklich Relevantes jedoch nun noch deutlicher werden muss, werden mich vermutlich die Umstände dazu zwingen.
Die Kunst der Entspannung besteht in der Kunst, freie Zeit zur Entspannung verfügbar zu machen und “belegte” Zeit ausschließlich für dafür vorgesehene Tätigkeiten ohne Ablenkungen zu reservieren.
Ende der Elternzeit: Die Kunst der Vereinbarkeit
Als stellvertretender Leiter des Thuringian Competence Centre Economy 4.0, Geschäftsführer von MentalAid und Tätigkeiten an der University of Erfurt kann ich nicht behaupten, mich beruflich zu langweilen. Familiär hingegen auch nicht. Nun gilt es, diese beiden und andere Lebensbereiche miteinander zu vereinen. Hier ist es wichtig, produktive Zeiten nur für zu erledigende Dinge zu reservieren und sich nicht ablenken zu lassen (daher meine o.g. Diäten). Werden Leerläufe nicht zur Erholung genutzt, scheinen sie aus meiner Sicht verschwendet.
Kleiner Fun Fact am Rande: Haben Sie schon einmal probiert, die Elternzeit in etablierten Berufsportalen wie Xing oder LinkedIn einzutragen? Gar nicht so einfach, denn bis dato ist dies unter den vorgegebenen Antwortkategorien gar nicht standardmäßig vorgesehen.
Die Kunst der Vereinbarkeit besteht in der Kunst, verfügbare Zeiten strikt Familie und Freunden bzw. Beruf zuzuordnen.
Elternzeit als Privileg: Arbeitnehmer- und Arbeitgeberperspektive
Es ist in Deutschland ein großes Privileg, dass Arbeitgeber und staatliche Stellen überhaupt die Möglichkeit einräumen, sich für eine in ihrer Länge weitgehend von den Eltern bestimmten (Aus-)Zeit ausschließlich auf die Familie konzentrieren zu können und dies bezahlt zu bekommen. Das sieht in unseren Nachbarländern durchaus anders aus, wie z.B. ein Blick in das Schweizer Modell von Mutter- und Vaterschaftsurlaub zeigt: Hier können Väter lediglich zwei Wochen (!) bezahlten Urlaub nehmen – das ist unglaublich wenig Zeit, um sich an ein neues Familienmitglied zu gewöhnen und die frisch gebackene Mutter zu unterstützen. Ich wage zu behaupten, dass das niemandem auch nur annähernd ausreichen kann. Man muss also entweder wohlhabend sein, um sich eine längere Pause zu gönnen oder die meisten Aufgaben muss die Mutter selbst übernehmen.
Das Privileg gilt jedoch nicht nur für Arbeitnehmer, sondern – es mag zunächst paradox klingen – auch für Arbeitgeber. Findet sich eine Familie nicht in wichtige und stabile Strukturen ein, sind private Probleme früher oder später vorprogrammiert. Das dürfte sich negativ auf die Arbeitsleistung auswirken – vom individuellen Wohlbefinden des Mitarbeiters ganz abgesehen. Einer kurzfristigen Verfügbarkeit der Arbeitskraft (durch keine oder zu kurze Elternzeit) steht letztlich also ein mittel- bis langfristiger Verlust der zur Verfügung stehenden Energie des Arbeitnehmers gegenüber. Damit kann keinem Arbeitgeber geholfen sein.
Das entkräftet auch das Argument einer möglichen Hinderlichkeit der Elternzeit für die berufliche Stabilität: Wird Elternzeit tatsächlich kritisch vom Arbeitgeber gesehen, zeugt dies von einer ablehnenden Haltung gegenüber der Familie eines Teammitglieds und damit mangelnder Empathie. Wird Elternzeit erschwert oder gar verhindert, ist der Arbeitnehmer mit seinen Gedanken ohnehin nicht konzentriert. Ein Fokus auf die Lösung wichtiger Aufgaben wird sich so nicht einstellen und die Motivation zur beruflichen Weiterentwicklung in den familienkritischen Strukturen des Arbeitgebers dürfte auch gering ausgeprägt sein. Auch damit kann keinem geholfen sein.
Ich bin daher sehr dankbar, dass in meinem Falle keinerlei Steine im Weg lagen, um Elternzeit zu nehmen. Großer Dank geht daher an meinen Arbeitgeber, die IHK Erfurt, sowie an meinen direkten Vorgesetzten Dr. Mauricio Matthesius vom Thuringian Competence Center Economy 4.0.
Ein großer Dank geht natürlich auch an meine Frau Veronika und unsere Kinder, ohne die es natürlich überhaupt keine Elternzeit für mich gegeben hätte! 😉
Elternzeit ist für Arbeitnehmer und -geber ein großer Gewinn.
Was ist also mein Fazit?
Ich zolle all jenen sehr großen Respekt, die sich um Kinder kümmern, egal, unter welchen Umständen. Und ich kann nur jedem die Elternzeit – sofern dies die Rahmenbedingungen ermöglichen – empfehlen. Vielleicht auch zu unterschiedlichen Zeiten und damit zu verschiedenen Altersstufen. Es gibt keine bessere Möglichkeit, das Aufwachsen der eigenen Kinder besonders intensiv zu begleiten. Dass man dabei zur News-, Social Media- und Smartphone-Diät gezwungen wird, halte ich nur für zweckmäßig und gesund. 😉 Das kann man durchaus für die Zeiten nach der Elternzeit mitnehmen, um den eigenen Alltag zu entschleunigen.
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In diesem Beitrag sind alle Geschlechter gleichermaßen gemeint.